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Kolumne

Griesgram-Mix und der liebe Säbelzahntiger

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PRIM, SEK 1

Ich gehe heute in die 4c. Supplieren. Musik. Kollegin F. hat mir schon einiges vorbereitet und ich schreite mit positivem Elan in die Klasse. Von der 4c hat man ja schon so manches gehört: So soll einer alten Legende nach dort Chaos und Anarchie herrschen. Also mutig voran!

Ich steige zwei Treppen hoch, biege links ab, durchquere die kleine Aula, beantworte noch drei Schüler*innen-Fragen und betrete die Höhle des Löwen. Es ist – wie eigenartig – sehr ruhig. Kann man sagen zu ruhig? Wenn meine eigenen Kinder sich zu Hause beflegeln, es Legosteine hagelt und man sein eigenes Wort nicht verstehen kann, weiß ich: Es ist alles in Ordnung. Aber wenn Stille eintritt, nehme ich die Beine in die Hand und renne ins Kinderzimmer. Denn Stille bedeutet: Alarm, Alarm. 

Doch es ist sehr ruhig in der Klasse und die Kids schauen mich erwartungsvoll an. War die Legende doch nur eine urbane? Ist die 4c in Wahrheit eine Vorzeigeklasse mit Hang zum Strebertum und eine Ausgeburt der Freundlichkeit? „So Leute, heute machen wir was über Schubert. Schon einmal gehört?“, frage ich gut gelaunt in die Runde. Fragende Gesichter, ein leises Kichern und schon bricht der Orkan los. „Wir wollen das nicht machen, nein bitte nicht. Können wir Kahoot spielen oder was zeichnen? Musik ist so fad“, höre ich es quer durch die Klasse schreien. „Stopp, stopp, stopp“: Da wird meine Stimme gleich lauter und die Gesichter schauen auch nicht mehr so freundlich aus. Wollen die mich veräppeln? Klar. Nicht umsonst heißt es: Erste Stunde absolviert und der Ruf ist ruiniert. „Passt bloß auf, dass du nicht zu freundlich bist“, predigt mir Kollegin G. jede Pause wie das Vaterunser gebetsmühlenartig vor, „denn dann bist du verkauft!“ Echt? Darf man als Lehrer*in wirklich nicht freundlich sein und muss wie Griesgram-Mix durch die Schulflure ziehen? Immer auf der Suche nach dem nächsten Opfer, um es anzuschnauzen? Ich weiß nicht. In der 4c haben sich nun alle damit abgefunden, dass es, ob Gegenwehr und heftiger Diskussion, doch eine Musikstunde gibt. Na Bravo, denke ich mir. Was wäre gewesen, wenn ich Deutsch oder Mathe unterrichtet hätte? Hätten sie mich dann gefesselt?

Nein, natürlich nicht. Mein Motto ist ja: „Jedes Kind ist auf seine eigene Art und Weise ein gutes Kind.“ Und daran halte ich auch in meinem ersten Lehrjahr fest. Die Schüler*innen akzeptieren einen am meisten, wenn man authentisch ist. Was nützt es mir, wenn ich rumbrülle und mir das niemand abkauft? Dann wird man wohl eher zu einer Witzfigur als zur Autoritätsperson. Ich mag es, wenn die Kids mich mögen. Ich will zwar nicht den Beliebtheitswettbewerb gewinnen, aber es ist doch schön, wenn es ein gutes Miteinander und positives Klassenklima gibt. Aber klar, nicht alles ist immer Happy-peppy-Sonnenschein. Man muss auch – und das nicht wenig oft – den Säbelzahntiger auspacken, um eine nicht so einfache Klasse zu bändigen. Mit Klassenbucheinträgen und allem Drum und Dran. Aber man muss definitiv nicht die Hexe Gundel Gaukeley aus dem Lustigen Taschenbuch werden, sondern darf ruhig auch freundlich und kameradschaftlich mit den Schüler*innen umgehen. Respekt erzeugt in der Regel wieder Respekt. Vertrauen zu den Schüler*innen aufzubauen, sollte trotzdem auch ein Lehrer*innenziel sein. 

Ich kenne einige Kolleg*innen, nicht an meiner Schule, aber generell, die eine Herrschaft von Angst ausüben. Das erinnert mich oft an meine eigene Schulzeit. Ich hatte mehrere Lehrer*innen, vor denen mir wirklich angst und bange war. Da wurde eher aus Furcht als aus Freude gelehrt und gelernt. Vor jeder Prüfung hatte man Bauchweh und nicht selten sind Tränen geflossen. So darf und soll es nicht mehr sein. Sollte je ein Kind in meiner Stunde weinen und ich bin der Grund, wäre das für mich einfach nur schlimm. 

Die Musikstunde war übrigens ein voller Erfolg. Alles haben mitgearbeitet und auch wenn ein paar gemurrt haben: Schubert ist geschafft! Ich freue mich schon auf meine nächste Supplierstunde, denn ich sehe das immer als Chance, Schüler*innen in Klassen kennenzulernen, die ich noch nicht unterrichtet habe. Und Griesgram-Mix kann dann ruhig auch daheim in der Schublade bleiben. 

Sonja Krätschmer

Sonja Krätschmer

Die gebürtige Steierin ist Zweifachmama und war viele Jahren Redakteurin bei der Kleinen Zeitung. Sie folgte nach der Karenz ihrem Hobby und wurde Bibliothekarin. Seit Kurzem ist die Quereinsteigerin in der Mittelschule Spielberg u. a. als Deutschlehrerin tätig.

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