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Lesen? Ja, aber bitte was „Nices“
Mittwochfrüh nach den Osterferien. Lesestunde in einer dritten Klasse. Man kann sagen, es ist nicht eine wirklich flüssige Angelegenheit. Und tief in meinem Inneren fühle ich mich wie der Drehorgelspieler, der andauernd an einer Kurbel dreht.
Oft ist es so, dass Lesen vorausgesetzt wird, wenn man an 12-jährige Schüler*innen denkt. Ha, weit gefehlt. Lesekompetenz ist so ziemlich das größte Hindernis in unserem Schulsystem. Heuer haben wir das „Jahr der Lesekompetenz“ in ganz Österreich. Schwerpunkt Pflichtschulen. Klingt nett, aber ich schwöre: Meine Tochter liest flüssiger als so manche*r Mittelschüler*in und sie ist 9 Jahre alt. Wohlgemerkt ist sie keine Einserschülerin und tut sich auch sonst oft schwer. So ehrlich muss man sein. Aber zurück zur Lesestunde. Wir lesen Gruselgeschichten – jede in sich schlüssig und kurz – und ich wundere mich, ob ich im falschen Film bin. „Julia, warum stotterst du denn so dahin, da steht ja komplett was anderes“, sage ich zu einer Schülerin, die sich wirklich Wort für Wort quält. Sonst hat sie ständig die Klappe offen und ist nicht auf den Mund gefallen, aber kaum gibst du ihr einen Text zum Lesen, wird sie auf einmal ziemlich still.
Ich bin ehrlich gesagt ziemlich schockiert, wenn es um die Lesekompetenz von manchen Schüler*innen geht. Mich wundert auch nicht, dass wir in Österreich eine hohe Zahl an versteckten Analphabeten haben. Irgendwie wurschteln sich diese oft jungen Menschen durch die Pflichtschulen durch. Und da muss ich auch so manchen Kollegen oder so manche Kollegin in die Pflicht nehmen: Das darf nicht sein. Gerade wenn es um Textverständnis geht, schneiden wir bei IKM-Testungen wirklich schlecht ab. Natürlich stellt sich hier die Frage, ob eine Momentaufnahme des Lesen-Könnens eines ziemlich weit hergeholten Text – Danke an die Mitarbeiter*innen im Ministerium, die wohl noch nie in einen Klassenraum voller Schüler*innen von innen gesehen haben – überhaupt sinnvoll ist.
Ich persönlich finde es geradezu lächerlich, welche Fragen den Schüler*innen bei diesen Testungen gestellt werden. Die Texte sind teilweise altmodisch, uninteressant und nicht aus dem Leben gegriffen. Irgendwie schade, denn gerade Leseübungen und guter Lesestoff für die Mittelschule sind wirklich spärlich zu finden. Und: Wer will schon Goethe und Co. lesen, wenn man am Nachmittag Fortnite oder Minecraft zocken kann oder sich lieber im Einkaufszentrum mit den Freund*innen trifft? Texte aus einer Zeit, die wir als Lehrer*innen selbst nicht einmal erlebt haben, sind aus dem Lehrplan zu streichen. Klassiker sollten im Studium abgewickelt werden und nicht 12-Jährigen aufs Auge gedrückt werden. Julia fixt Shakespeare übrigens auch nicht gerade an. Lieber würde sie etwas über Freundschaften, Beziehungen, Mode und Influencer*innen lesen. Und ganz ehrlich: Ich gebe Julia recht, denn Lesekompetenz sollte auch modern möglich sein. „Frau Lehrerin, der Text sollte schon nice sein und nicht so bekloppt“, meint Lana.
Julia und Lana haben so was von recht: „Nice“ (gesprochen „neise“) Texte und richtig guter Lesestoff könnten Jugendliche wieder zum Buch bringen. Es gibt so geniale Jugendliteratur, die genau das abdeckt. Aber wenn es schon in der Schule hapert, wie soll der/die Schüler*in Lesen überhaupt „nice“ finden?
Der Zugang zum Buch erfolgt auch nur über flüssiges Lesen. Wenn das zur Qual wird und eigentlich nur anstrengend ist, wird kein Jugendlicher gerne lesen. Aber solange er im Unterricht nur fade Texte vorgesetzt bekommt und sich durch „Der Junge im gestreiften Pyjama“ und Co. quält, wird auch die Lesekompetenz nicht steigen. Resultierend daraus hinkt auch die Rechtschreibung hinterher, weil Lesen einfach das Auge für Wörter schult und das bei wenig Übung dann ein Teufelskreis wird. Schüler*innen drehen sich dann quasi im Kreis und kommen auf keinen Nenner. Ich plädiere für richtig coolen Lesestoff, der auch etwaige Grammatikübungen mit sich bringt. JÖ, TOPIC und Co. sind hier schon auf dem richtigen Weg, aber wir brauchen unbedingt noch mehr davon.