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Nasse Patschen
Wenn Weihnachten vor der Türe steht, ist auch in der Schule Ausnahmezustand. Es ist Advent, man will Kekse backen, eventuell steht noch die Weihnachtsfeier an und auch die Abschlusskonferenz vor den Feiertagen geht bald über die Bühne.
Die Schüler*innen sind auch im Ausnahmezustand. Im Unterricht hören sie nur mehr mit einem Ohr zu. Wichtiger ist schon der Plan, was in den Weihnachtsferien gemacht wird. Anita sagt, dass sie wegfahren, weil Skiurlaub einfach sein muss. Und Jonas schreibt schon seinen zehnten Wunschzettel – im Unterricht. Echt jetzt? Was wünschen Sie sich zu Weihnachten, Frau Lehrerin? Gute Frage: Ruhe und Harmonie wäre jetzt die Antwort meines Mannes. Der ist übrigens auch Pädagoge. Ein reiner Pädagogenhaushalt. Bitte reden wir nicht über die Arbeit, mir reicht es schon von den ganzen Lehrer*innen an der Schule, sagt er und grinst. Ich grinse auch, weil ich weiß, dass er Vollblutpädagoge ist. Klar, ich schweige wie ein Grab, sage ich. Schweigen ist im Unterricht kein Thema. Seid doch ruhig, wir haben noch einiges an Stoff vor, im Jänner haben wir die nächste Schularbeit, krähe ich halbherzig in die Klasse und merke: Bei mir ist auch die Luft raus. Jammern auf hohem Niveau kann man das nennen oder etwa nicht. In meinem alten Job war es oft stundenlang ruhig. Adventlich, ja weihnachtlich ruhig. Ich konnte stundenlang etwas schreiben und mich auf eine Sache konzentrieren. Das ist als Lehrerin kein Thema mehr, was mir aber wirklich richtig „taugt“. Endlich ist der Arbeitstag abwechslungsreich und spannend. Die Kinder sind meistens sowieso brav und ein bissl Action darf ja sein.
Können wir bitte ein Kahoot machen? Nein, heute wird gelesen, wir machen dann später was am Tablet, Lukas. Ich bin Deutschlehrerin und kann sagen: 50 Minuten sind nix. Eine Stunde verfliegt wie im Flug und schon will Mehmet wissen: Wieso nicht? Ich will auch Kahoot. Es heißt, ich will ein Kahoot machen, sage ich. Bissl was soll sprachlich bitte hängen bleiben. Ist es nur in der Schule ein Phänomen, das nicht mehr in ganzen Sätzen gesprochen wird? Das ist die TikTok-, WhatsApp-, Snapchatsprache, die ich komplett faszinierend und irgendwie auch bedenklich finde. Wo sind die Verben hin? Kann ich Klo, sagt Theresa. Was willst du? Ich will auf Toilette. Das heißt, du möchtest bitte auf die Toilette gehen. Alles klar, geh.
O du fröhliche, o du selige: Ich greife mir gedanklich an die Stirn und seufze. Aber trotzdem sind sie noch motiviert, eine Geschichte zu lesen. Wir suchen uns was Spannendes aus und Stefan findet, dass wir öfter was über Mörder lesen sollten. Oder Attentate. Echt? Muss ich mir jetzt Sorgen machen? Nein, Frau Lehrerin da war nur etwas in den Nachrichten und das war megaspannend.
Ich verstehe natürlich den Kick, ich schaue auch gerne Krimis und verschlinge jedes Buch, wenn es noch so grausam sein sollte. Muss ich mir über mich selbst Gedanken machen? Aber nein. Ist doch ganz normal, warum bleiben sonst immer alle Autofahrer sensationsheischend stehen, wenn irgendwo ein Unfall passiert. Grusel, Morde, Unfälle: Das fasziniert uns seit Urgedenken. Ist wohl eine Art Urinstinkt: Gott sei Dank war ich das nicht im brennenden Auto. Denkt sich jeder, oder?
Es läutet in fünf Minuten und Ben sagt, dass er auf Klo muss. Sicher nicht, du gehst in der Pause. Nicht vergessen, ich habe Pausenaufsicht. Draußen liegt schon der erste Schnee, die Kids freuen sich. Rennen raus und schmeißen sich ins nasse Weiß. Manche in Patschen. Wo sind eure Schuhe, ist euch nicht kalt? Nein, Frau Lehrerin. Eh klar. Was frage ich auch so blöd?
Noch zwei Stunden Deutsch. Wo muss ich hin? Ich schaffe es einfach nicht, mir meinen Stundenplan zu merken. Ich habe 5 Klassen in Deutsch mit 17 Stunden. Was haben wir gestern gemacht in der 2b? Gott sei Dank habe ich mir diesen digitalen Lehrerplaner geholt. Da schreibe ich mir täglich auf, was ich wo gemacht habe. Ich treffe Kollegin S. am Gang. Na, wo gehts hin, frage ich grinsend. Haha, gute Frage, muss auf meinen Plan schauen. Ah, Geografie in der 4a. Viel Spaß. Was wirst du zur Weihnachtsfeier anziehen, frage ich noch schnell. Irgendwas Legeres, sagt sie und hüpft flotten Schrittes die Stufen in den zweiten Stock hinauf. Ich muss noch schnell ins Lehrerzimmer mein Zeug holen. Wo muss ich hin? Ah ja. 2b. Es läutet. Jingle Bells, denke ich und stapfe die Stufen runter.