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Kolumne

Ein klarer Fall von Sigma-Boy-Burnout

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PRIM, SEK 1

Seit dem heurigen Schuljahr unterrichte ich auch Kunst und Gestaltung. Oder auch Zeichnen, wie man es bis vor zwei Jahren nannte. Aus Werken wurde übrigens Technik und Design. Aber das nur nebenbei erwähnt. 

Zurück zum – ich sage es jetzt einfach so, weil mir der andere Begriff definitiv zu lange ist – Zeichenunterricht. Es ist eine andere Welt. Ich persönlich finde es viel herausfordernder, als Deutsch zu unterrichten, weil man freier arbeitet und dadurch natürlich viel mehr Lärm im Klassenraum entsteht. Ich gebe zu, es bringt mich manchmal an meine Grenzen.

So wie letztens in Zeichnen, als wir ein neues Thema besprochen haben und ich – motiviert wie van Gogh, bevor er sich sein Ohr abgeschnitten hat – über Surrealismus referierte. Lange Gesichter. Was-will-die-von-uns-Blicke. Mit der Aufforderung, das Wort zu googeln, habe ich mich dann vollends ins Fettnäpfchen gesetzt. Das Wort Surrealismus wurde teils von – tja, wie soll man es nennen – eher zweideutigen Bildern umrahmt. Da soll man digital den Unterricht bereichern und das kommt dann dabei raus … Was mich zu einem total aktuellen Thema führt: Digitalisierung und Handys in der Schule. Wir haben seit heuer ein Handyverbot in der Schule. 

Ich persönlich finde das richtig. Wir haben dazu Handysafes in den Klassen installiert und ich muss sagen: Es funktioniert bestens. Die Kids geben ihre Geräte in der Früh hinein, das Lehrpersonal versperrt sie und verwahrt den Schlüssel. Am Ende des Schultages kriegen die Schüler*innen ihre Handys wieder. Seitdem gibt es kein lästiges Klingeln mehr in der Schultasche, niemand wird heimlich gefilmt oder fotografiert (hatten wir tatsächlich schon öfters). Seit wir Handysafes haben, ist der Schultag entspannter. Das Thema wird mittlerweile politisch heiß diskutiert und ich bin gespannt, was sich da noch tun wird. Mir tun die Kinder eher leid, weil sie diesen Dingen nicht mehr ausweichen können. Am Nachmittag wird gezockt bis in die Nachtstunden hinein und das Handy liegt bei vielen sogar am Nachtkästchen. Ständig piepts irgendwo etwas und man ist gezwungen, dauern zu checken, ob man auf Snapchat verlinkt wurde oder auf TikTok ein neuer Trend viral gegangen ist. 

So wie derzeit dieser Sigma-Boy. Wenn ich in der Früh in die Klasse komme, singen die Kids ständig dieses Lied. Sogar meine eigenen Kinder! Da habe ich mal diese Typen gegoogelt. Aber viel schlauer bin ich dabei nicht geworden. Deswegen möchte ich die Stuttgarter Nachrichten zitieren, wo geschrieben steht: „Ein Sigma Boy ist eine jugendliche Interpretation dieser Mentalität, geprägt durch Internetkultur und Memes. Typische Eigenschaften sind Unabhängigkeit, Zurückhaltung (introvertiertes Charisma), Selbstdisziplin, Ablehnung von Konventionen und Minimalismus.“ Aber eigentlich handelt es sich dabei um keine besonders netten Zeitgenossen, Sigma Males sind herablassend, abgestumpft und lehnen die Gesellschaft ab. „Sigma Boy“ ist ein Lied, das aus Russland kommt und von zwei 11-jährigen Mädchen gesungen wird. Soweit meine Recherchen, die an dieser Stelle aber nun erschöpft sind. Dass der Song derzeit permanent im Klassenzimmer herumdudelt, stört trotzdem. Wenn dieser Artikel erscheint, gibt es wahrscheinlich sowieso schon wieder einen neuen Trend. Und genau das ist auch das Problem: Unsere Kids erleben eine Welt, die so schnelllebig und kurzweilig ist, dass es anstrengend ist, all die verschiedenen Trends mitzumachen oder zu verfolgen. Die Jugendlichen von heute werden das relaxte Leben, das wir in den 80er- und 90er-Jahren hatten, nie kennenlernen. Kein Wunder, dass Burnouts im Jugendalter immer häufiger vorkommen und die Beratungslehrer*innen und Schulsozialarbeiter*innen genug zu tun haben.

Ob Sigma-Boy deswegen so beliebt ist? Weil sich die Kids wünschen, sie wären wie dieser gechillte Bub, der entspannt und minimalistisch durchs Leben geht und sich seine eigene kleine Welt schafft? Ich wünsche ihnen das aber auf keinen Fall, sondern viel mehr entschleunigte Tage, mehr echten Frühling draußen und viele handyfreie Ruhezeiten.

Sonja Krätschmer

Sonja Krätschmer

Die gebürtige Steierin ist Zweifachmama und war viele Jahren Redakteurin bei der Kleinen Zeitung. Sie folgte nach der Karenz ihrem Hobby und wurde Bibliothekarin. Seit Kurzem ist die Quereinsteigerin in der Mittelschule Spielberg u. a. als Deutschlehrerin tätig.

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