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Kolumne

Verhalten wir uns immer fair?

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PRIM, SEK 1

Es ist Freitag. Fünfte Stunde. Deutschunterricht. Wir freuen uns alle auf das Wochenende. Ich bin in der 4c und die Stimmung ist angespannt. Mein Credo ist, dass ich kurz vor dem Wochenende den Kids nicht noch das letzte Fünkchen Lernkraft abverlangen will. Manchmal dürfen sie im TOPIC einen Artikel lesen und dann in Gruppen Kurzreferate machen.

Das passiert dann meist über zwei Freitagsstunden und dann präsentieren sie ihr Erarbeitetes vor der Klasse. „Frau Lehrerin, ich muss Ihnen was sagen“, seufzt Jana. Okay, da bin ich mal gespannt. „Ich habe ja mit Lukas und Eva das Referat zusammengemacht, aber der Lukas hat nix gemacht. Eva und ich haben alles gemacht und wir finden das jetzt total unfair, wenn der Lukas auch die gleiche Note bekommt wie wir“, rückt Jana mit der Sprache heraus. Ja, das finde ich eigentlich auch, aber was mache ich mit Lukas? Soll er noch einmal ein Referat in einer anderen Gruppe ausarbeiten oder doch allein? Sein Verhalten war eigentlich nicht der Sinn der Übung und ich sehe mich schon meine Konzepte für die nächsten Stunden über den Haufen werfen. 

Ich fische mir Lukas zum Lehrertisch vor und frage ihn, ob das alles stimmt, was die Mädels mit erzählt haben. „Nein, das ist doch gar nicht wahr und ich finde das total unfair, wenn ich jetzt so dastehe“, empört sich Lukas. Unfair, wenn ich das Wort noch einmal höre. Laut meinen Schüler*innen sind wir Lehrer*innen ja die Unfairness in Person. Und ja, nicht alles ist fair, aber manchmal kann man nicht jede individuelle Situation an die Lage anpassen. „Lukas, ich kann nur eins sagen, und zwar: Es steht Aussage gegen Aussage! Quasi zwei zu eins und du bis eins. Das heißt, du wirst den Kürzeren ziehen. Oder hast du einen Vorschlag?“, versuche ich ihm den Ball zuzuspielen. „Naja, ich könnt ja mit Matthias und Jan ein neues Referat machen …“, murmelt Lukas und wird rot. Ja, genau. Dann hätten wir das Trio Infernale beisammen. Lukas plus Jan plus Matthias ergibt: Chaos und null Arbeitsleistung. „Nein Lukas, das geht nicht. Wir hatten das schon ein paar Mal und es hat nicht wirklich geklappt. Das Ergebnis war meistens ein halbfertiges Referat und ihr habt nur getratscht die ganze Zeit. Das hat die anderen animiert, sich auch nicht an den Plan zu halten. Von mir gibt es ein fettes Nein“, sage ich und setze mein strengstes Lehrerinnen-Gesicht auf. Wir hatten eigentlich geplant, die Referate heute zu präsentieren und jetzt diskutieren wir schon eine Viertelstunde, warum Lukas nix gemacht hat. Oder doch, wie er behauptet. 

Und es ist Freitag und ich will echt nicht diskutieren und langsam langt es mir wirklich. „Lukas, danke, es reicht und jetzt setzt dich hin. Du kriegst ein Unbeurteilt für das Nichterledigen der Gruppenarbeit und wenn du das ausbessern willst, musst du ein eigenes Referat machen. Zu einem anderen Thema, das ich dir vorgebe“, ist mein letztes Wort. Lukas murmelt ein leises „Ok“, und setzt sich auf seinen Platz. 

Hier war ich wirklich die gemeine fiese Lehrerin, denn eine Woche später …

Eva und Jana stehen kleinlaut vor der Konferenzzimmertür und wollen mit mir sprechen. „Also, es ist uns wirklich unangenehm, aber letzte Woche, das mit Lukas, das war von uns nicht fair“, stammelt Jana. Aha. „Er hat uns eigentlich eh geholfen, aber er war ja mit Eva zusammen und dann haben sie sich getrennt und wir haben uns ein bissl gerächt“, wird Janas Stimme immer leiser und ihr Kopf immer röter. Aha. Na Bravo. Fazit: Fiese Aktion unter Schüler*innen und ich mittendrin. Was für ein Chaos. „Na, das war aber nicht ok von euch und ich war deswegen unfair zu Lukas. Das ist mir jetzt auch unangenehm, weil er ja dann sogar noch ein eigenes Referat gemacht hat“, sage ich zu ihnen. Ich werde mich bei Lukas entschuldigen. Ich bin auf die beiden Mädels reingefallen und hätte noch einmal genauer nachfragen sollen. Lukas kriegt ein Extraplus von mir und eine Entschuldigung. 

Dieser Vorfall spiegelt wider, wie es bei uns in der Schule oft zugeht. Sind wir wirklich immer fair? Nein! Aber wir versuchen es, und sehr oft klappt es auch. Die Sache in der 4c war mir eine Lehre. Ich gelobe, beim nächsten Mal beide Seiten unvoreingenommener anzuhören. Auch Eva und Jana geloben Besserung. Und Lukas? Der will seinen schlechten Ruf als „Referate-Verweigerer“ verbessern. So hat die Geschichte auch etwas Gutes im Endeffekt! 

Sonja Krätschmer

Sonja Krätschmer

Die gebürtige Steierin ist Zweifachmama und war viele Jahren Redakteurin bei der Kleinen Zeitung. Sie folgte nach der Karenz ihrem Hobby und wurde Bibliothekarin. Seit Kurzem ist die Quereinsteigerin in der Mittelschule Spielberg u. a. als Deutschlehrerin tätig.

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