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Klassenlektüre

Wie Klassenlektüre zur „klassen Lektüre“ wird

article Beitrag

„Lesen war eine wunderschöne Sache, aber dann kam der Deutschunterricht.“ 
(Erich Schön, Universität Konstanz)

Schlimmer kann ein Urteil über den Lese- und Literaturunterricht wohl nicht ausfallen als dieses.

Inhalt

Zwar ist es ein gewisser Trost zu wissen, dass derjenige, der es gesprochen hat, selbst die Freude am Lesen dennoch nicht verloren hat, sondern später ein renommierter Literaturwissenschafter wurde, für den Deutschunterricht jedoch muss es sehr zu denken geben.

Lektüreerfahrungen im Deutschunterricht

Schüler*innen die Freude am Lesen zu nehmen, ist gewiss das Letzte, das Deutschlehrer*innen mit ihrem Literaturunterricht bewirken wollen. Trotzdem ist der Vorwurf einer „Zerstörung der Leselust im Deutschunterricht“ ein nicht selten gehörter. Der Leseforscher Werner Graf etwa hat über viele Jahre hinweg nach der Methode retrospektiver Lektüreautobiografien Jugendliche und Erwachsene zu ihrer Lesesozialisation, auch zu ihren Leseerfahrungen im Deutschunterricht befragt, und oft wurde beklagt, dass dieser eher Lesefrust als Leselust ausgelöst habe. Ob dies nur subjektive Eindrücke Einzelner sind oder tatsächlich der Beweis für einen wenig geglückten Literaturunterricht (etwa hinsichtlich methodischer Gestaltung oder Buchauswahl), sei dahingestellt. Wirklich interessant ist allerdings der Umstand, dass sich fast alle Befragten dabei stets automatisch auf Klassenlektüren bezogen. Prägend im Gedächtnis geblieben waren bei den Befragten an allererster Stelle (beziehungsweise überhaupt nur) die Klassenlesestoffe. 


Nicht das Lesen von Sachtexten, von Zeitungsartikeln und Informationstexten, von der Bedienungsanleitung bis hin zum Leserbrief, von all den vielfältigen Texten des Deutschunterrichts kam den Befragten in den Sinn, wenn sie auf ihre Lektüreerfahrungen im Unterricht und den Einfluss desselben auf die Freude am Lesen (oder auch Abneigung dagegen) angesprochen wurden, sondern die gemeinsamen Klassenlektüren. Dies zeigt, dass der Stellenwert von Klassenlesestoffen für die Lesesozialisation und die Lesehaltungen der Schüler*innen sehr groß ist, dass Klassenlesestoffe somit wichtiges Potenzial haben, um in Kindern und Jugendlichen eine Begeisterung fürs Lesen zu wecken.

Die Durchführung und Gestaltung von Klassenlektüren, die Auswahl der Bücher, die Begleitaktivitäten, welche Lehrpersonen planen, dies alles prägt nachhaltig die Eindrücke der Schüler*innen von Literatur. Ganz besonders gilt das für jene Jugendlichen, die in ihrem privaten Umfeld – in der Familie, im Freundeskreis – kaum mit Literatur in Kontakt kommen. Genau sie aber sind die Kernzielgruppe, die man in der Schule fürs Lesen gewinnen muss, weil für sie der Deutschunterricht den einzigen „Zugang“ zu Literatur darstellt. Je positiver also dieser Zugang von ihnen erlebt wird, umso besser erreicht der Literaturunterricht sein oberstes Ziel, allen Kindern und Jugendlichen – unabhängig von ihren jeweiligen lesebiografischen Voraussetzungen – die Welt der Bücher näherzubringen.

Ein zeitloser Diskurs in der Literaturvermittlung rankt sich um die Frage nach dem obersten Ziel des Deutschunterrichts: Soll sich dieser (mit Fokus auf die Sekundarstufe 1) vorrangig auf anspruchsvolle Kinder- und Jugendbücher, thematisch ernsthafte Werke mit oft auch tragischem Inhalt (auf sogenannte „Problembücher“, die einen großen Teil des Kanons ausmachen) konzentrieren? Die Rechtfertigung dafür ist klar der Anspruch an den Literaturunterricht, den jungen Leser*innen ethische Werte, Wissen, ein realistisches Bild von der Welt samt all ihren Schattenseiten zu vermitteln und sie zu kritischen Leser*innen zu erziehen. Realistische Krisenszenarien, Krieg, Tod, Selbstmord, Missbrauch, Krankheit, Drogensucht und ähnliche bittere Themen durchziehen die Jugendliteratur und finden sich überdurchschnittlich oft in preisgekrönten Kinder- und Jugendbüchern. Ob solche Themen geeignet sind, nebst den genannten Zielen auch Lesefreude und Lust am Lesen zu wecken (glückliche, positive Gefühle), ist zuweilen fraglich – vor allem bei jenen, die sie noch nicht haben. Durchaus berechtigt erscheint daher die Forderung, gerade bei den Lektüren für 10-bis 14-Jährige stärker auf den Unterhaltungswert und den Spannungsfaktor zu achten, auf die gute Lesbarkeit und trendige Themen, die unter Jugendlichen gerade „in“ sind, auch wenn dies fallweise auf Kosten des inhaltlichen Tiefgangs, des Lernwerts und Wissenszuwachses und vielleicht auch des realen Lebensweltbezugs geschieht? Ein Genre jedenfalls hat überdeutlich zum Ausdruck gebracht, dass Lesebegeisterung und Leseflow oft gerade durch solche Bücher ausgelöst werden, die eine bewusste Abkehr von der „harten Wirklichkeit“ vollziehen und die Leser*innen stattdessen in ein fantastische Gegenwelt „entführen“. Es handelt sich um die Fantasyliteratur. Sie nämlich bietet in mehrerlei Hinsicht das genaue Gegenstück zu den realistischen „Problembüchern“, nämlich die Möglichkeit, für die Zeit der Lektüre von den echten Problemen auf der Welt – oder auch des persönlichen Lebensalltags – in eine Fantasywelt, in eine schöne Gegenwelt, abzutauchen. Der Erfolg Harry Potters und der vielen seither erschienenen Fantasybücher und -reihen beweist, dass gerade diese Bedürfnisse bei jugendlichen Leser*innen treibende Kraft fürs Lesen sind und man daher deren Potenzial auch im Deutschunterricht nützen sollte.

Fantasy feiert Erfolge

Auch die aktuellen Jugendbuch-Bestsellerlisten, erhoben von Buchreport, zeigen diese Lesetrends sehr deutlich. Unter den zehn meistverkauften Jugendbüchern findet sich nur ein einziger realistisch-ernster Adoleszenzroman, dagegen findet man fünf Fantasybücher (mit Freundschafts-, Abenteuer- und Krimielementen), drei Bücher zur gleichnamigen Netflix-Erfolgsserie (eine unterhaltsame Teenie-Liebesgeschichte) und einen Comic-Roman (Gregs Tagebuch Bd. 16) (www.buchreport.de/spiegel-bestseller, Stand Oktober 2022). Auf der Bandbreite von realistischen Problembüchern bis hin zu fantastischen Unterhaltungstexten liegen die Präferenzen der Jugendlichen klar bei letzteren. Zwischen diesen beiden konträren Großgenres finden sich natürlich noch – in thematischer Vielfalt – Krimis und Historienromane, heitere Familien- oder Abenteuerbücher, Science Fiction-, Mystery- und Horrorromane. Zumeist verschmelzen die Werke Elemente mehrerer Genres. Für die hier zu behandelnde Frage nach den Klassenlektüren bedeutet dies nun ganz klar: Der Erfolg eines Klassenlektüreprojekts beginnt mit dem allerersten Schritt, mit der Auswahl des Genres, gefolgt vom zweiten Schritt, der Auswahl eines konkreten Buchs. Beide Male stehen Lehrpersonen vor der Qual der (Aus-)Wahl. Ein allgemeingültiges Erfolgsrezept für die diesbezüglich richtige Entscheidung und in der Folge für gelungene – „klasse“ – Klassenlektüren existiert leider nicht, denn so viele Schüler*innen es gibt, so viele unterschiedliche Geschmäcker, Interessen, Lesegewohnheiten und -fertigkeiten. Was man aber tun kann und auch tun sollte, wenn eine einheitliche Klassenlektüre erwünscht ist (und es nicht differenzierte Gruppenlesestoffe sein sollen), ist, die Schüler*innen in die Auswahl miteinzubinden, und das am besten durch Methoden, die bereits lesedidaktischen Selbstwert haben. An oberster Stelle gilt es ein Werk zu finden, das bei möglichst vielen Schüler*innen auf großes Interesse stößt – oder zumindest auf Akzeptanz. Diese Forderung gilt für die Sekundarstufe 1 vor allem aus zwei Gründen: Einerseits haben hier Lehrpersonen bei der Textauswahl noch große Freiheit (verglichen mit der Sekundarstufe 2, wo der Kanon der Erwachsenenliteratur oder in BHSen branchenspezifische Texte erforderlich werden); andererseits ist die Altersstufe von 10 bis 14 die kritischste, da es hier oft zum sogenannten „pubertären Leseknick“ kommt (vgl. z. B. PISA; Philipp). Deswegen ist es in diesen Jahren umso wichtiger, Bücherlesen im Unterricht möglichst attraktiv zu gestalten, da die Konkurrenz durch vielfältige digitale Medien, neue Teenager-Interessen oder coole andere Freizeitaktivitäten ohnehin sehr stark ist. 


Die Schüler*innen in die Buchauswahl miteinzubinden, ist für die Lesemotivation sinnvoll und hilft auch, eventuelle psychische Reaktanz gegenüber einer aufoktroyierten Zwangslektüre zu vermeiden. Darüber hinaus kann im Zuge des Buchauswahlverfahrens auf mehrere Bücher aufmerksam gemacht werden, ehe jenes Buch als Klassenlektüre ausgewählt wird, das den höchsten Zuspruch erhält. Diese Ermittlung kann z. B. digital durch ein Mentimeter (PC-Programm/App für Echtzeit-Feedback und Abstimmungen; www.mentimeter.com) oder durch ein konventionelles Ranking mit 1., 2., 3. Wahl oder Ähnlichem erfolgen. Bei der Vorauswahl der z. B. fünf oder sechs zur Wahl stehenden Bücher ist es günstig, wenn die Lehrperson neben der Qualität der Bücher und ihrer Eignung für den Deutschunterricht auf inhaltlich „breitentaugliche“ Themen setzt, die für alle Schüler*innen in der Klasse – auch für beide Geschlechter – einigermaßen denkbar sind, das heißt etwa keine Horrorbücher oder keine Liebesgeschichten, sondern Bücher, die als sprichwörtlich „kleinster gemeinsamer Nenner“ der unterschiedlichen Interessen und Lesepräferenzen denkbar sind. Auch beim Umfang und sprachlichen Schwierigkeitsgrad sollte berücksichtigt werden, dass der Text für alle Schüler*innen lesbar und bewältigbar sein muss. Wenn aus diesem Bücher-Angebot dann wiederum noch der „Buch-Favorit“ gewählt wird, hat man als Lehrperson sein größtmögliches Entgegenkommen in Bezug auf Schüler*innenwünsche gezeigt. Die fehlende innere Differenzierung kann dafür bei den Begleit- und Anschlussaufgaben umso stärker verankert werden. Für diese gibt es eine Vielzahl an didaktischen Möglichkeiten, wobei vor allem den handlungs- und produktionsorientierten Verfahren ein großer Stellenwert zukommt. Bei diesen können die Schüler*innen selbst aktiv werden und durch innere Differenzierung unterschiedliche Beiträge erarbeiten und eigene Ideen umsetzen. 

Generell gilt: Je besser es gelingt, Klassenlektüren zu etwas Besonderem zu machen, zu einer spannenden und abwechslungsreichen Aktivität, die sich von gewohnten – vielleicht auch schon zu gewohnten – Mustern abhebt, umso größer ist die Chance auf Begeisterung seitens der Schüler*innen. Auch ist es, und damit schließt sich der Kreis zur Schüler*innen-Mitsprache bei der Buchauswahl, gerade bei Jugendlichen in der Pubertät für die Motivation förderlich, ihnen ein Maß an Selbstbestimmung und Eigenverantwortlichkeit einzuräumen. Dies hat auch ein im Sommersemester 2022 im Rahmen der Salzburger Bildungslabore durchgeführtes Klassenlektüre-Projekt bestätigt. Außerdem wurden in dem betreffenden Projekt noch einige weitere lesemotivationssteigernde Maßnahmen und Aktivitäten umgesetzt, welche im Folgenden kurz vorgestellt werden. 

 

Klassenlektüre-Projekt „LeseLUST statt LeseLAST“ 

Beim Projekt „LeseLUST statt LeseLAST“ handelt es sich um ein Gemeinschafts-Literaturprojekt, das in Kooperation mit den Salzburger Bildungslaboren (https://salzburger-bildungslabore.at) durchgeführt wurde. Gemäß deren Grundkonzept, mehrere Personengruppen des Bildungsbereichs enger miteinander zu vernetzen, wirkten beim betreffenden Literaturprojekt Schüler*innen, Lehrer*innen, Studierende, ein Schriftsteller, ein Literaturvermittler und eine Hochschuldidaktikerin zusammen.


Kurzdarstellung des Projekts 

Die Schüler*innen der 3. Klasse Mittelschule Kuchl (Bundesland Salzburg) lasen im Rahmen des Deutschunterrichts Bücher der Fantasyreihe „Gryphony“ des bekannten Jugendbuchautors Michael Peinkofer. Der Auftakt für das Projekt erfolgte durch einen gemeinsamen Workshop, bei dem der Autor, die Studierenden und die projektbeteiligten Personen (Peter Fuschelberger/Junges Literaturhaus Salzburg, Doris Schönbaß/PH Salzburg) anwesend waren. An mehreren Blockterminen (zwischen April und Mai) erarbeiteten die Schüler*innen in der Folge verschiedene differenzierte Beiträge zum Buch. Sie wurden dabei durch die Deutschlehrer*innen, vor allem aber auch durch die Studierenden unterstützt. Anstatt verpflichtend vorgegebener Arbeitsaufträge konnten die Schüler*innen eigenständig kreative Ideen entwickeln und so ihren persönlichen Zugang zum Werk und zu dessen Nachbehandlung wählen. Vorschläge bekamen sie nur bei Bedarf. Ende Mai fand eine große Abschlussperformance statt, bei der alle Beiträge den Eltern, Familienmitgliedern, Freunden, Lehrer*innen, dem Direktor, den Studierenden und auch dem Autor selber präsentiert wurden.

 

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Das übergeordnete Ziel des Projekts war es, die Lesefreude von Schüler*innen und ihre Begeisterung für Literatur durch kreative, differenzierte, selbstbestimmte, auch fachübergreifende literaturdidaktische Methoden zu fördern. Der persönliche Kontakt und die gemeinsame Arbeit mit dem Autor sowie die Beteiligung von Lehramtsstudierenden (Universität und PH Salzburg), die als Coaches die Schüler*innen bei der Umsetzung ihrer Ideen und Texte unterstützten, waren weitere wichtige Eckpfeiler des Projekts. 

 

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Die Schüler*innen waren mit Begeisterung dabei!

Um den Erfolg des Projekts zu überprüfen, wurde dieses wissenschaftlich begleitet – bereits während des Semesters durch „teilnehmende Beobachtung“, gefolgt von einer Gruppendiskussion. Am Ende, nach der Abschlussveranstaltung, wurde eine Gesamtevaluation in Form von Interviews mit allen Schüler*innen durchgeführt (mündliche Interviews mittels Leitfaden, die transkribiert, kategorisiert und anonymisiert ausgewertet wurden). 

Bei dieser Befragung zeigte sich, dass allen Schüler*innen das Projekt gut gefallen hatte – auch jenen, die angaben, grundsätzlich nicht gern (eher nicht gern beziehungsweise gar nicht gern) zu lesen. Die größten Motivationsfaktoren waren gemäß den Daten der Erhebung für die Schüler*innen die Beteiligung des Autors, die Selbstbestimmung und Gestaltungsfreiheit bei den Beiträgen (d. h. die innere Differenzierung), die Zusammenarbeit in Gruppen, die Abwechslung zum herkömmlichen Unterricht (auch die Loslösung von Notendruck) und die Unterstützung durch Studierende als Coaches. (Diese waren als Ansprechpersonen auch deswegen sehr geeignet, weil sie einerseits als angehende Deutschlehrer*innen den Kindern fachlich überlegen waren und ihnen kompetent weiterhelfen konnten, andererseits aber eben doch noch keine „fertigen“ Lehrer*innen waren und somit noch auf freundschaftlicher Augenhöhe mit ihnen, etwa auch per du, kommunizierten.) Zu guter Letzt wurde auch noch die gemeinsame Abschlusspräsentation, bei der alle ihre Leistung präsentieren konnten und dafür Anerkennung und Beifall erhielten, als großes Ziel empfunden, auf das es sich hinzuarbeiten lohnte. 

 

 

 

Insgesamt zeigen die Daten der wissenschaftlichen Auswertung klar, dass der Wunsch, gerade bei den normalerweise nicht (oder nicht mehr) lesebegeisterten Jugendlichen doch wieder Freude an Lesen und Literatur zu wecken, eindeutig erfüllt werden konnte. Ferner konnte die auch schon in anderen Studien, etwa der PEER-Studie 2008, belegte Bedeutung der Kommunikation über Literatur in der Peer Group einmal mehr als großer Motivationsfaktor bestätigt werden (vgl. Philipp „Lesen empeerisch“). Die positive Gruppendynamik bei den gemeinsamen Aktivitäten führte beim „LeseLUST statt LeseLAST“-Projekt auch bei den sonst wenig lesebegeisterten Schüler*innen zu deutlich höherem Engagement und mehr Begeisterung für Literatur.  

Nun ist natürlich klar, dass ein derartiges (Pilot-)Projekt, das eine längerfristige Planung, personelle Ressourcen und spezielle äußere Rahmenbedingungen erfordert, nicht beliebig jederzeit umgesetzt werden kann. Sehr wohl können aber einzelne Teile, Methoden und Zugänge, welche sich als besonders erfolgreich erwiesen haben, in den Regelunterricht übernommen werden, gegebenenfalls auch in abgewandelter Form.

 

Projekt-Fazit

Hierbei ist die bereits erwähnte Auswahl des Buchs ein erstes und entscheidendes Kriterium. Dass die Entscheidung auf das Buch „Gryphony“ fiel, ergab sich aus den Lesepräferenzen der Schüler*innen (ihrem Interesse für Fantasy) und dem Umstand, dass es eine Freundschaftsgeschichte ist, die sowohl für Mädchen als auch Buben gleichermaßen passt. Auch wurde berücksichtigt, dass der sprachliche Schwierigkeitsgrad nicht allzu hoch sein durfte, da einige leseschwächere Schüler*innen sowie vier Schüler*innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf beziehungsweise geringen Deutschkenntnissen in der Klasse waren. Für ambitionierte Leser*innen gab es aber die Möglichkeit, auf freiwilliger Basis zusätzlich einen oder mehrere Folgebände zu lesen, was genau die Hälfte der Schüler*innen auch tatsächlich tat. Derartige Überlegungen und Angebote sollten auch im Regelunterricht erfolgen. Ebenso lassen sich die von den Kindern genannten „Pluspunkte“ des Projekts gegebenenfalls in angepasster Form übernehmen; so etwa kann beispielsweise das persönliche Kennenlernen des Autors auch bei Lesungen in den österreichischen Literaturhäusern erfolgen oder online Kontakt (z. B. via Zoom) zum Autor hergestellt werden. Innere Differenzierung und Individualisierung sollten im Literaturunterricht idealerweise immer berücksichtigt werden. Handlungs- und produktionsorientierte Methoden geben dabei den Schüler*innen Raum für Kreativität und vielfältige Beiträge zum Text (z. B. Rap/Song, digitaler Comic, Animation, szenische Umsetzungen, Podcast/Hörspiel, Bücher-Blog oder Website übers Projekt). Ferner ermöglichen sie die gleichwertige Teilhabe aller Kinder, unabhängig von ihren Voraussetzungen (Stichwort diversitätsgerechte und inklusive Pädagogik). Die Ergebnisse lassen sich wie beim vorgestellten Projekt ideal in Form einer gemeinsamen Abschlussveranstaltung präsentieren, wodurch auch positive Gemeinschaftserlebnisse erzeugt werden. Allein schon diese sind ein lohnenswerter Grund und ein starkes Argument für einheitliche Klassenlektüren: Sie zeigen den Schüler*innen, dass Bücherlesen nicht nur eine Tätigkeit des Einzelnen für sich selber ist, sondern dass es zu einer tollen gemeinsamen Aktivität in der Peer Group werden kann.

 

 

Buch-Tipp

Lesegenese in Kindheit und Jugend. Einführung in die literarische Sozialisation

Von: Werner Graf

Erschienen bei Schneider Verlag Hohengehren 2011

ISBN: 978-3-8340-0674-5

 

Buch-Tipp

Handlungs- und produktionsorientierter Literaturunterricht. Theorie und Praxis eines „anderen“ Literaturunterrichts für die Primar und Sekundarstufe

Von: Gerhard Haas

Erschienen im Klett Verlag 2021

ISBN: 978-3-7800-2003-1

 

 

Buch-Tipp

Lesen empeerisch. Eine Längsschnittstudie zur Bedeutung von peer groups für Lesemotivation und -verhalten

Von: Maik Philipp

Erschienen im VS Verlag 2010

ISBN: 978-3-5311-7033-6

 

Buch-Tipp


Ganzschriften im Deutschunterricht. Mittelfristige Unterrichtsplanung zu Romanen, Dramen, Novellen und Graphic Novels

Von: Tilman Brand

Erschienen im Klett Verlag 2021

ISBN: 978-3-7727-1380-4 

Doris Schönbaß

Doris Schönbaß

war Lehrerin an einer BHS und ist seit 2008 Lektorin am Fachbereich Germanistik der Universität Salzburg sowie seit 2012 Professorin an der Pädagogischen Hochschule Salzburg; sie lehrt in den Bereichen Neuere deutsche Literaturwissenschaft und Fachdidaktik Deutsch (Schwerpunkte Leseforschung, Literatur- und Kulturgeschichte, Lese-/Mediendidaktik, Kinder- und Jugendliteratur).

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